Auf dem Programm des Kurses „Recht und Rechtskultur in Deutschland“ der Sommeruni Bayreuth steht im August unter anderem der Besuch einer Strafverhandlung. Die Hauptverhandlung findet in der zweiten Instanz vor dem Landgericht statt; deswegen ist Treffpunkt vor dem monumentalen Sandsteinquaderbau des Bayreuther Justizpalasts in der Wittelsbacherring 22. Nach einer Woche theoretischem Unterricht – u.a. zu Verfahrensrecht und Strafrecht – bekommen wir nun hautnah einen Strafprozess zu erleben, was eigentlich eines der Highlights dieses Kurses ist.
Sitzordnung bei Strafprozessen nach deutschem Recht
Im Raum 1.049 wird über eine Betäubungsmittelsache verhandelt. Bevor man in das erste Obergeschoss gehen kann, findet aber eine strenge Eingangskontrolle statt, bei der eine Polizistin und zwei Wachtmeister alle Besucher und Prozessbeteiligten – ähnlich wie an Flughäfen – einer Kontrolle auf Waffen und gefährliche Gegenstände unterziehen. Der mit gelbem Holz eingerichtete Gerichtssaal ist noch leer. Leise betreten wir den Raum und nehmen auf den Stühlen Platz, die nach dem Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren für die Zuschauer bereitstehen.
In der üblichen Sitzordnung bei Strafprozessen nach deutschem Recht befindet sich der Zuschauerbereich an einem Ende des Gerichtssaals. Demgegenüber sitzt das Gericht, d.h. mit Blick zum Gerichtssaal und in der Regel in einer etwas erhöhten Position: der Gerichtsvorsitzende in der Mitte und die beisitzenden Richter oder Schöffen zu seinen Seiten. Ganz an der Seite der Richterbank sitzt der Protokollführer. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft sitzt traditionell auf der Fensterseite, während der Strafverteidiger und der Angeklagte auf der Türseite sitzen. Auf dem Stuhl in der Mitte des Raumes nimmt der Zeuge bei der Zeugenvernehmung Platz.
Aufruf zur Sache
Im Raum erscheinen jetzt auch der junge Staatsanwalt gefolgt von dem Angeklagten und seinem Verteidiger, die sich in die Angeklagtenbank setzen. Die Protokollführerin sitzt bereits an ihrem Platz hinter einem großen Computerbildschirm, und endlich betreten auch die zwei Schöffen und der Richter den Gerichtssaal (übrigens tragen Richter eine schwarze Robe mit Samtbesätzen und eine weiße Krawatte oder Fliege). Die aus zwei Laien- und einem Berufsrichter bestehende kleine Strafkammer wird über die Berufung entscheiden müssen, die der Angeklagten selbst ohne Angabe einer Begründung und ohne Mitwirkung seines Verteidigers eingelegt hat. Sobald der Richter die erschienenen Personen festgestellt hat, vernimmt er den Angeklagten zuerst zu seinen persönlichen Verhältnissen und dann zum Tatbestand. Der Angeklagte ist ein junger Arbeitsloser; er spricht undeutlich und verhält sich ziemlich passiv, als ob er selbst an einem positiven Ausgang des Verfahrens Zweifel hege. Im ersten Rechtszug hatte ihn das Amtsgericht wegen Betäubungsmittelhandel und Körperverletzungen an seiner damaligen, schwangeren Lebenspartnerin zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt. Er gestehe zwar die Begehung der Taten, wie sie in dem verlesenen erstinstanzlichen Urteil geschildert sind, habe aber Berufung eingelegt mit dem Ziel, ein geringeres Strafmaß zu beantragen. Angesichts der Einlassungen des Angeklagten erübrigt sich nach Meinung des Vorsitzenden die Vernehmung der eingeladenen Zeugen; deshalb bittet er die Protokollführerin darum, sie so schnell wie möglich wieder abzuladen.
Durch die weitere Vernehmung des jungen Mannes versucht der Vorsitzende Richter jetzt zu erfahren, ob die Voraussetzungen für eine Reduzierung des Strafmaßes überhaupt vorliegen. Allerdings lassen die ungeschickten Antworten des Angeklagten stark vermuten, dass er offensichtlich nicht zur Einsicht gekommen ist und zur Veränderung seiner Lebensumstände inzwischen gar nichts unternommen hat (z.B. aktive Suche nach einer Arbeitsstelle, Behandlung der Suchtprobleme, usw.). Der Strafverteidiger, der von der Berufung nichts gewusst hatte und lange Zeit mit seinem Mandanten keinen Kontakt gehabt hatte, versucht einige schwache Argumente bezüglich der Körperverletzung an der damaligen Freundin vorzutragen. Das Gericht ist aber der Meinung, das Treten in den Bauch einer Schwangeren sei eine besonders gravierende Tat. Unter den Umständen schlägt der Vorsitzende Richter daraufhin eine Unterbrechung der Verhandlung vor, damit der Angeklagte mit seinem Verteidiger über die eventuelle Rücknahme der Berufung beraten kann.
Die Sitzung wird fortgesetzt
Als die Verhandlung wiederaufgenommen wird, gibt der resignierte Angeklagte zu Protokoll, er möchte doch seine Berufung zurücknehmen. Der Richter belehrt ihn deshalb, dass der erstinstanzliche Schuldspruch damit rechtskräftig werde und dass er innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist die Ladung zum Strafantritt erhalten werde. Wegen der Rücknahme des Rechtsmittels seitens des Angeklagten ergeht am Schluss der Verhandlung kein Berufungsurteil. Wir sind ein bisschen enttäuscht, aber dem angeklagten jungen Mann wird es viel schlimmer ergehen: Neben der Freiheitsstrafe, die er jetzt absitzen muss, ist er trotz der Rücknahme der Berufung zur Zahlung der Prozesskosten verpflichtet. Die von der Höhe der Strafe abhängigen Gerichtskosten machen den geringeren Teil der Kosten aus; die geladenen Zeugen, die sich schon unterwegs zum Landgericht befunden haben, konnten nämlich nicht abgeladen werden und haben also Anspruch auf Zeugenentschädigung. Am teuersten dürfte der Strafverteidiger kommen.
Obwohl wir leider eine Urteilsverkündung nicht miterleben können, bekommen wir am Ende der Gerichtsverhandlung die einmalige Möglichkeit, den Vorsitzenden Richter der kleinen Strafkammer zu befragen, der freundlicherweise allgemeine Grundsätze des Straf-und Strafprozessrechts anhand von Beispielen aus dem soeben zu Ende gegangenen Verfahren erläutert und Wissenswertes über seinen Beruf und die interne Organisation des Bayreuther Landgerichts mitteilt.
Das Landgericht Bayreuth
Der Bezirk des Landgerichts Bayreuth umfasst das Gebiet der Stadt Bayreuth sowie der Landkreise Bayreuth und Kulmbach. Das Landgericht ist im Justizpalast am Wittelsbacherring 22 unter einem Dach mit dem Amtsgericht und der Staatsanwaltschaft untergebracht. Das imposante Sandsteingebäude hat die Kriegszeiten nahezu unbeschadet überstanden und steht seit 1975 unter Denkmalschutz.
In Strafsachen ist das Landgericht Bayreuth für folgende Verfahren zuständig: erstinstanzliche Strafverfahren von besonderer Bedeutung (insb. Kapitalverbrechen); Berufungen gegen strafrechtliche Urteile des Amtsgerichts und Strafvollstreckungssachen.
Bei Berufungsverhandlungen gegen Amtsgerichtsurteile – wie übrigens im heutigen Verfahren der Fall war – wendet die kleine Strafkammer das sogenannte Verböserungsverbot an, wenn nur der Angeklagte die Berufung eingelegt hat. Danach darf das Strafmaß nicht höher als im ersten Rechtszug sein. Gegen die von der kleinen Strafkammer in zweiter Instanz erlassenen Urteile ist das Rechtmittel der Revision vor dem Oberlandesgericht möglich. Wäre also heute am Ende der Verhandlung ein Schuldspruch ergangen, hätte der Verurteilte theoretisch das Urteil vor dem Oberlandesgericht Bamberg anfechten können.
Im Moment wirken beim Landgericht insgesamt 18 Richter und Richterinnen. Von letzteren sind drei je bei der ersten und der zweiten Strafkammer und zwei bei der Strafvollstreckungskammer tätig. Über die herrschenden Probleme am Landgericht gefragt, weist der Vorsitzende der kleinen Strafkammer auf einen Mangel an Sachverständigen hin, vor allem im Bereich der Psychiatrie. So dauere es oft nicht Wochen, sondern Monate, bis Gutachten fertiggestellt sind. Die Verfahrensdauer verlängere sich entsprechend.
Genauere Informationen zum Kurs „Recht und Rechtskultur in Deutschland“ der Sommeruni Bayreuth finden Sie unter https://www.sommeruni-bayreuth.de/website/de/sommeruni/kurse/recht_und_rechtskultur_in_deutschland oder direkt bei mir. Nehmen Sie einfach mit mir Kontakt auf!